Aufbruch und Erschütterung
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Sächsische Zeitung, 5.12.2005, von Manfred Müller
Zeitdokument. Der Geschichtslehrer und Entwicklungshelfer Rainer Grajek las im „Stern“ aus seinem Buch „Berichte aus dem Morgengrauen“
Der Begriff „Grauen“ kann so hoffnungsvoll sein, wenn er mit dem Wort „Morgen“ gekoppelt ist. Und er kann blankes Entsetzen ausdrücken, wenn er allein steht. Ich weiß nicht, ob Rainer Grajek diesen Doppelsinn beabsichtigte, als er seinem Mosambik-Buch den Titel „Berichte aus dem Morgengrauen“ gab, aber es enthält beides: den Aufbruch eines afrikanischen Landes in die Unabhängigkeit, in ein sozialistisches Gesellschaftsmodell und die Erschütterung darüber, dass dieser Weg letztlich zu Chaos, Gewalt und bitterer Armut führte. Wer also am Mittwochabend einen netten Bericht über einen Aufenthalt unter der Tropensonne erwartet hatte, der sah sich schon bald getäuscht.
Zeitdokument mit Episoden
Rainer Grajek ist kein Reiseschriftsteller. Er war im Auftrag des DDR-Volksbildungsministeriums zwischen 1981 und 1983 und dann noch einmal 1986 in Mosambik tätig, um Lehrerbildner zu schulen. Er hat diesen Aufenthalt mit dem Blick des Geschichtslehrers dokumentiert, verknüpft eigene Erlebnisse mit Zeitungsberichten und Literatur-Recherchen. In dieses Zeitdokument flicht er plastisch erzählte Episoden ein, die vor den Augen des Lesers und Zuhörers die Naturschönheiten des Landes und die Eigenheiten seiner Menschen erstehen lassen.
Bei seiner Lesung im Riesaer „Stern“ zieht Rainer Grajek die zwanzig Besucher zunächst mit seinen Eindrücken bei der Ankunft in der Hauptstadt Maputo in seinen Bann. Er beschreibt die zartblau blühenden Akazien, die madagassischen Feuerbäume und die „arroganten“ Fächerpalmen. Es gibt lustige Erlebnisse mit den gewaltigen afrikanischen Schaben; und der mitgebrachte Zekiwa-Kinderwagen wird, einschließlich des blonden Grajek-Junior-Babys, zur Attraktion bei der Maputoer Damenwelt.
Betroffenheit bei Zuhörern
Aber schon bald zieht der Alltag ein, der zwischen Hoffnung und Resignation schwankende Zustand des mosambikanischen Bildungswesens, die Einfälle bewaffneter Banditen, der unerklärte Krieg des benachbarten Apartheid-Staates Südafrika. Die Berichte über Erfolge bei der Alphabetisierung weichen Schilderungen über Grausamkeiten, wie der Vergewaltigung und Tötung eines achtjährigen Mädchens durch Renamo-Freischärler. Die anfänglich heitere Stimmung der Zuhörer verwandelt sich in Betroffenheit.
Rainer Grajek ist nicht der Versuchung erlegen, seine Aufzeichnungen aus heutiger Sicht zu überarbeiten. Er hat seinem Buch zwar ein aktuelles Vorwort und Nachwort angefügt, belässt aber den Text sonst in der für die Veröffentlichung in der DDR gedachten Form. In den Passagen über das mosambikanische Bildungswesen wirken die damals üblichen Substantivierungen schwerfällig und die allgegenwärtige Ideologisierung ein wenig peinlich. Aber Grajek macht das in anderen Kapiteln mit großem Erzähltalent und Esprit wieder wett.
Sein von Dias und afrikanischen Liedern begleiteter Vortrag im „Stern“ bestätigte, was Insider, Freunde und Bekannte längst wussten: Da ist einem Riesaer wieder mal ein höchst lesenswertes Buch gelungen.
Letzte Aktualisierung: 19. September 2020