Das Sozialistengesetz

Vom Kampf der deutschen Arbeiterbewegung gegen das Sozialistengesetz. Erfahrungen bei der problemhaften Gestaltung der Unterrichtseinheit 6.3 in Klasse 8. In: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde. 1/80. Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1980. S. 39 – 49.
Siehe auch: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Signatur: X 2181.
In ihrem Artikel „Zu einigen Schwerpunkten der Behandlung des Kampfes der Volksmassen für den gesellschaftlichen Fortschritt in den Klassen 7 und 8“ im Heft 6/1979 unserer Fachzeitschrift formulieren Diere/Heidler: „In der Epoche der vollen Entfaltung des Kapitalismus der freien Konkurrenz und des Übergangs zum Monopolkapitalismus wurde die Führung des Kampfes um Demokratie und Fortschritt endgültig zu einer Sache der revolutionären Arbeiterbewegung.“/1/ Die Schüler zu dieser Einsicht zu führen bedeutet, den Unterricht in der Stoffeinheit 6 so anzulegen, dass der heroische Kampf gegen das Sozialistengesetz als Höhepunkt des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse im Zeitraum von 1870 bis 1891 erkannt wird.
„Es geht um keine geringere Frage als um die Entscheidung, ob und in welcher Weise die deutsche Arbeiterbewegung als eine selbständige politische Kraft fortwirken und damit ihrer Rolle als Führerin im Kampf um Demokratie und Sozialismus gerecht werden konnte.“/2/
Um diese Grundfrage in den Mittelpunkt des Unterrichts zu rücken und den Schülern die Möglichkeit zu geben, den Verlauf der Kämpfe aus einer solchen parteilichen Sicht zu verfolgen, möchte ich einige Überlegungen zur problemhaften Gestaltung der Stunden 6.3.1., 6.3.2. und 6.3.3. vorstellen. Im Mittelpunkt soll dabei „die aktive Auseinandersetzung der Schüler mit solchen Problemen stehen, deren Klärung im besonderen Maße zum Verständnis historischer Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart und zur Standpunktbildung der Schüler beiträgt“/3/. Ich knüpfe mit dieser Position unmittelbar an meinen Diskussionsbeitrag auf der Leserkonferenz unserer Fachzeitschrift an./4/
Einige Aspekte der problemhaften Gestaltung des Geschichtsunterrichts
Die Bewusstheit und die Produktivität der geistigen Aktivität der Schüler hängen in starkem Maße davon ab, wie es gelingt, den Erkenntnisprozess als Weg vom Problemerkennen zum Problemlösen zu gestalten. Dabei geht es besonders um das Lernen als aktive, schöpferische und produktive Tätigkeit, die von hoher Bewusstheit getragen wird. Es muss bereits bei der Planung des Unterrichtsprozesses gelingen, die innere Seite der Schülertätigkeit so zu beachten, dass ich als Lehrer vom Schüler weiß:
„Was geht in seinem Kopf vor? Welche Erkenntnisoperationen führt er aus? Ist er gefesselt? Stimmt er zu oder ist er skeptisch? Ist er angerührt und ergreift er Partei? Wenn der Lehrer so den inneren Seiten der Schülertätigkeit mehr Aufmerksamkeit schenkt, dann kommt er auch auf die ganze Dialektik erzieherischer Wirkungen.“/5/
In bezug auf die problemhafte Gestaltung meines Geschichtsunterrichts identifiziere ich mich mit folgenden Positionen G. Neuners, der fordert, nach „tragfähigen und packenden Problemstellungen“ zu suchen.
„Problemstellungen sind nicht schlechthin Fragen, wie immer noch häufig missverstanden wird. Sie müssen diesen Widerspruch enthalten, der dem Schüler bewusst wird, ihn aktiviert ihn herausfordert. Das ist besonders dort wichtig, wo ich erzieherische Ziele verfolge. Problemstellungen im Unterricht zielen auf Widersprüche. die in den zu behandelnden Sachverhalten selbst wirken.“/6/
In der von mir dargestellten Stoff- bzw. Unterrichtseinheit ergeben sich die genannten Widersprüche aus der historischen Entwicklung, d h. aus dem zu behandelnden historischen Stoff.
G. Neuner fordert weiter:
„Jeder Lehrer weiß. Probleme zu erkennen und zu lösen, das erfordert einen relativ hohen Aufwand an Zeit und Kraft. Es hat wenig Sinn, ein Problem durchzujagen Die Problemsituation muss von allen erfasst werden; es sind Hypothesen aufzustellen; es sind Fakten zu sammeln, zu vergleichen, Schlussfolgerungen zu ziehen, zu prüfen, zu werten. Es ist das Für und Wider, die Diskussion, die Auseinandersetzung zu stimulieren. Deshalb sollte man Probleme im Unterricht nur dort stellen wo man die Schwerpunkte des Unterrichts, besonders in erzieherischer Hinsicht, gesetzt hat.“/7/
Die Stoffeinheit 8.6. hat mehrere solcher Schwerpunkte. Jedoch bieten nicht alle zehn Stunden die gleichen erzieherischen Möglichkeiten. Darum habe ich die Unterrichtseinheiten 6.1 (2 Stunden) und 6.4. (1 Stunde) in Anlehnung an die Vorschläge der Unterrichtshilfen erläuternd illustrativ gestaltet. Aspekte der problemhaften Gestaltung wurden in den Unterrichtseinheiten 6.2., 6.3. und 6.5. verstärkt realisiert.
Nach Weck und Fuhrmann lassen sich folgende Phasen des Problemlösungsprozesses unterscheiden, die im realen Denkprozess jedoch nicht nacheinander, sondern in gegenseitiger Durchdringung verlaufen:
- Versetzen der Schüler in eine Problemsituation (Problemstellen);
- Analyse der Problemsituation, Erkennen des Problems und Ableiten der zu beantwortenden Fragen;
- Inbeziehungsetzen des Problems zu entsprechenden Wissensgebieten und Reproduktion schon vorhandener Kenntnisse;
- Aufstellen einer oder mehrerer Hypothesen;
- Überprüfen der Hypothesen;
- Fixierung der Lösung des Problems, der gewonnenen Erkenntnis./8/
Von großer Bedeutung ist die Beachtung der Merkmale, die ein Problem im didaktischen Sinne/9/ ausmachen:
- Sie müssen einen Widerspruch zwischen Wissen und Nichtwissen enthalten, der besonders starke dynamische Tendenzen auslöst und dadurch die Erkenntnistätigkeit auf die Lösung des Widerspruchs ausrichtet.
- Das Problem muss auf wesentliche Lehrplanforderungen orientiert sein.
- Es müssen möglichst alle Schüler rasch in eine Problemsituation versetzt werden
- Die Probleme sollten eine große Effektwahrscheinlichkeit aufweisen.
Insgesamt geht es also darum, dass die problemhafte Gestaltung des Geschichtsunterrichts als Prinzip und als Methode eines erziehungswirksamen, effektiven Unterrichts verstanden wird. Sie muss so eingesetzt werden, dass sie die Schüler zum Verständnis der Dialektik, die im historischen Stoff enthalten ist, führt, dass der historische Prozess als Ganzes gesehen und begriffen wird.
Zur Zielstellung der Stoffeinheit 6
Der Stoffeinheit 6 kommt in der Linienführung des Geschichtsunterrichts der Klasse 8 große Bedeutung zu, indem die Schüler mit den widersprüchlichen Folgen der Reichseinigung „von oben“ und insbesondere mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung bis zur Jahrhundertwende bekannt gemacht werden, erfassen sie Prozesse von großer Bedeutung. Damit wird das Verständnis für die nachfolgenden Stoffeinheiten gesichert. Die Behandlung der Stoffeinheit 6 verlangt, konkrete Kenntnisse zu vermitteln über die Höhepunkte des Klassenkampfes, insbesondere über den heldenhaften Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz.
Dabei ist der bis zur Jahrhundertwende von der Arbeiterbewegung erkämpfte Stand ihrer Klassenentwicklung den Schülern bewusst zu machen und der hervorragende Anteil von Marx und Engels an dieser Entwicklung zu würdigen.
Im Prozess der Entwicklung des historischen Denkens sind die Schüler zu veranlassen,
- den Charakter des deutschen Staates zu bestimmen;
- den 1871 errichteten deutschen Staat mit den Zielen der demokratischen Bewegung vor 1871 zu vergleichen und wesentliche Aufgaben für die demokratischen Kräfte abzuleiten;
- die neuen Bedingungen für den Klassenkampf der deutschen Arbeiterklasse festzustellen;
- die Ergebnisse des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse unter dem Aspekt der von ihr in dieser Zeit zu lösenden Aufgaben zu werten./10/
Insgesamt soll „ein Beitrag zur Befähigung der Schüler geleistet werden, den Kampf für den Sturz der junkerlich-bourgeoisen Herrschaft und die Herstellung demokratischer Verhältnisse als notwendige Aufgabe im revolutionären Kampf der Arbeiterklasse für die Verwirklichung ihrer historischen Mission zu verstehen“/11/.
Damit im Zusammenhang treten folgende Schwerpunkte der erzieherischen Arbeit in den Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit:
- In der parteilichen Wertung ist das preußisch-deutsche Kaiserreich als ein Staat der reaktionärsten Klassenkräfte zu kennzeichnen, expansiv nach außen und brutal volksfeindlich nach innen.
- All unsere Wertschätzung, Anerkennung und Würdigung gilt dem heroischen Kampf der Arbeiterklasse, ihrem Opfer- mut, ihren Erfolgen und der führenden Rolle von Marx und Engels in diesem Kampf. Stolz auf die revolutionär- demokratischen Traditionen aus dieser Zeit und Abscheu gegenüber den reaktionären Klassenkräften sollen in direkter Inbeziehungsetzung zu entsprechenden Entwicklungen der Gegenwart lebendig werden.
- Die Entwicklung zum Monopolkapitalismus muss im Sinne der verschärften ökonomischen, sozialen und politischen Widersprüche des herrschenden Systems gewertet werden./12/
Zur Stunde 6.3.1.: Die Herstellung der Einheit der deutschen Arbeiterklasse
Der Lehrplan fordert, „die neuen Aufgaben der deutschen Arbeiterklasse im Kampf gegen Junkertum und Bourgeoisie unter den veränderten historischen Bedingungen“ systematisierend herauszuarbeiten/13/ und über die Aufnahme lassalleanischer Auffassungen in das Gothaer Programm zu informieren/14/. Der Kampf von Marx und Eng1s für die Überwindung lassalleanischer Auffassungen im Gothaer Programm ist hervorzuheben.
Die vom Lehrplan gegebenen Hinweise für diese Stunde veranlassten mich, nach den effektivsten Formen besonders im Hinblick auf die Erziehungswirksamkeit dieser Stunde zu suchen. Es war notwendig, Wissen aus den Stoffeinheiten 8.1. und 8.4. zu reaktivieren und wichtige Informationen im Lehrervortrag zu geben, um damit das „Problematische“ der historischen Entwicklung hervorzuheben und den Schülern bewusst zu machen.
1. Schritt
Ausgangsgrundlage der Unterrichtsarbeit war das Ergebnis der zurückliegenden Stunden:
- Junker und Großbourgeoisie nutzten die nationalstaatliche Einigung zur Errichtung eines reaktionären Militärstaates in ganz Deutschland und zum Ausbau einer führenden Industriemacht in Europa.
- Die Arbeiterklasse wuchs zahlenmäßig rasch an und trug die volle Last der krisenhaften wirtschaftlichen und verschärft reaktionären politischen Entwicklung.
Diese beiden Erkenntnisaussagen waren zunächst Gegenstand einer vertiefenden Wiederholung. Aussagekräftiges Fakten- material wurde zugeordnet. Das Bild des von scharfen Klassengegensätzen geprägten preußisch-deutschen Kaiserreiches wurde lebendig.
Konnte die Arbeiterklasse die politischen und wirtschaftlichen Folgen der nationalstaatlichen Einigung von oben begrüßen?
Diese Frage forderte die Schüler zu einer umfassenderen Wertung der behandelten Entwicklung auf. Die meisten Schüler gaben eine Einschätzung, die den reaktionären Charakter der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nach 1871 kennzeichnete. Wir spitzten im Unterrichtsgespräch zu: Dieses preußisch-deutsche Kaiserreich war ein Hemmnis für eine im Interesse der Werktätigen liegende demokratische und fortschrittliche Entwicklung; dieses reaktionäre Hindernis wurde um so gefährlicher, je größer seine wirtschaftliche Macht war.
Was musste die Arbeiterklasse tun?
Diese Frage führte zunächst zu einer Reihe hypothetischer Antworten, Meine Absicht dabei war, den prinzipiellen problemhaften Grundansatz für die gesamte weitere Unterrichtsarbeit in der Unterrichtseinheit 6.3. meinen Schülern bewusst zu machen: Die Arbeiterklasse war gezwungen, den konsequenten Kampf gegen dieses reaktionäre System für sofortige soziale Verbesserungen und demokratische Rechte sowie für die Beseitigung jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung durch eine gerechte sozialistische Ordnung zu führen!
Diese hier angebahnte und immer wieder zu vertiefende Ausgangsposition führte zur weiterorientierenden Unterrichtsaufgabe:
Welche nächsten Kampfaufgaben musste die Arbeiterklasse lösen?
2. Schritt
Die erste zu lösende Kampfaufgabe wurde aus der bekannten Grundforderung von Marx und Engels abgeleitet:
Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!
Wie Marx in den Statuten zur 1. Internationale festgestellt hatte, ist die erste entscheidende Grundlage für einen erfolgreichen Kampf der Arbeiterklasse ihre Vereinigung zu einer geschlossenen, zielklaren Kraft.
Wie weit war die Entwicklung der deutschen Arbeiterklasse zu einer geschlossenen, zielklaren Kraft vorangeschritten?
Die Schüler wiederholten:
- 1863 war unter dem führenden Einfluss von Lassalle der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet worden, der half, dass die Arbeiterklasse sich organisatorisch und politisch vom Einfluss der Bourgeoisie befreien konnte.
- Die Partei der Eisenacher war 1869 auf marxistischer Grundlage entstanden. Sie erwies sich als eine qualitativ neue Führungskraft der Volksmassen. Das bewies ihr Kampf gegen den preußisch-deutschen Militärstaat und gegen die Unterdrückungspolitik der herrschenden Klassen.
Wir schlussfolgerten:
Im Kampf gegen das reaktionäre Herrschaftssystem in Deutschland war die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein notwendiges Erfordernis.
Es erfolgte die erste Eintragung im Tafelbild der Stunde (vgl. S. 44).
3. Schritt:
Im Lehrervortrag wurde vermittelt:
- Als der bekannte Eisenacher Theodor Yorck (proletarischer Revolutionär; geb. 1830, gestorben 1. Januar 1875; Tischler; 1863 Mitbegründer des ADAV; 1869 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei) Anfang 1875 in einem großen Leichenzug zu Grabe getragen wurde, fragte einer seiner Freunde einen jungen Arbeiter: „Was ist das für ein Gewerk, das hier der schönen Fahne folgt?“ Und er erhielt zur Antwort: „Das ist gleichgültig – wozu die Frage? Heute sind wir alle eins!“
- Vom 22. bis 27. Mai 1875 kamen in Gotha 129 Vertreter von etwa 25600 Arbeitern zusammen und beschlossen die Vereinigung der beiden deutschen Arbeiterparteien zur einheitlichen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands.
- Marx und Engels übten in ihren „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ eine grundsätzliche, scharfe Kritik am Inhalt des Gothaer Programms.
Diese im Unterricht in einer verständlichen Konkretheit dargelegten Informationen zum
Vereinigungsprozess [Tafelbild (2)] führten uns direkt zu der Problemstellung:
Stellten sich Marx und Engels gegen die Vereinigung?
Diese Frage versetzte die Schüler in eine Problemsituation. Folgende Positionen wurden in der Diskussion sichtbar:
- Schüler: „Wenn die Einheit der Arbeiter notwendig ist und auch Marx und Engels sie forderten, werden sie auch 1875 nichts gegen die Arbeitereinheit gehabt haben. Vielleicht hat sich etwas ereignet, womit sie nicht einverstanden waren.“
- Schüler: „Ich kann mir denken, dass es im ADAV noch immer viele Opportunisten gab, und vielleicht waren sie in Gotha so stark, dass ihre Meinung mehr als die der Eisenacher galt.“
- Schüler:„Ich bin nicht der Meinung, dass sie gegen die Vereinigung der Arbeiter waren, im Gegenteil. Und ihre Losung aus dem Manifest steht heute noch auf unseren Zeitungen. Man müsste genauer wissen, was sie eigentlich am Gothaer Programm kritisierten und warum.“
Ich lobte die drei Schüler, vor allem den, der die zuletzt genannte (und eigentlich von mir erwartete) Meinung geäußert hatte, und betonte, dass wir uns nunmehr die Kritik von Marx und Engels etwas genauer ansehen müssen. Dazu stützte ich mich auf die folgende Darstellung aus den Unterrichtshilfen:/15/
„Wilhelm Liebknecht und andere Eisenacher meinten, das wichtigste Ziel müsse sein, eine schnelle Einigung zu erreichen. So fanden sie sich bei der Abfassung des Programms zu Zugeständnissen an die Lassalleaner bereit. Dadurch gelangten zahlreiche lassalleanische Auffassungen in das Programm der deutschen. Arbeiterpartei, die von Marx in seiner Schrift ‚Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei‘ kritisiert wurden. Die Verfasser des Programms übergingen jedoch die kritischen Hinweise von Marx und Engels. Sie lehnten es sogar ab, diese Kritik den Parteimitgliedern zur Kenntnis zu bringen. Dadurch hafteten dem Programm zahlreiche Schwächen an. So wurde nichts darüber ausgesagt, dass das Proletariat die politische Macht erobern muss. Marx hat dagegen gerade betont, dass die Arbeiterklasse nur dann die kapitalistische Gesellschaft beseitigen und den Sozialismus aufbauen kann, wenn sie den bürgerlichen Staat zerschlägt und ihre eigene Staatsmacht errichtet, die Diktatur des Proletariats. Das war eine wichtige Lehre der Pariser Kommune. Im Programm blieb auch unberücksichtigt, dass in Deutschland die Junker die entscheidenden Machtpositionen im Staat in der Hand hatten. Es nannte allein die Kapitalisten als Feinde der Arbeiterklasse. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse sollte durch die Bildung von Produktivgenossenschaften beseitigt oder wenigstens eingeschränkt werden, in denen sich die Arbeiter zusammenschließen und die vom Staat unterstützt werden sollten.“ Das Programm enthielt also eine Reihe falscher Aussagen, die die erforderliche klare Orientierung für den weiteren Kampf beeinträchtigten.
Ich erinnerte an die Vermutung ihres Mitschülers und machte der Klasse die Richtigkeit dieser Überlegung deutlich (Opportunismus). Der betreffende Schüler wurde gelobt.
Danach fuhr ich fort: Wie recht Marx und Engels mit ihrer Kritik hatten – und mit ihrer Hilfe setzten sich später die marxistischen Kräfte in der Partei auch durch – und wie bedeutungsvoll die Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse für die Erfüllung ihrer historischen Mission ist, zeigt ein Ausspruch Erich Honeckers auf dem VIII. Parteitag der SED im Jahre 1971:
„Die Herrschaft der Arbeiterklasse, das ist der Punkt, auf den sich letzten Endes alle Wertschätzung unserer Freunde und alle Feindschaft unserer Gegner in der Welt konzentrieren. Gerade deshalb werden wir die Macht der Arbeiterklasse und ihre führende Stellung wie unseren Augapfel hüten und bei der weiteren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft immer vollkommener ausprägen.“/16/
Welche Beziehung seht ihr zwischen dieser Aussage und der Kritik von Marx und Engels am Gothaer Programm?
Die Schüler nannten:
- Marx‘ und Engels‘ Kritik bestand zu Recht, denn die Opportunisten wiesen einen falschen Weg.
- Aus Erich Honeckers Ausspruch geht hervor, dass die Macht der Arbeiterklasse das Entscheidende ist. Deshalb verleumdeten die Feinde des Proletariats gerade solche Zielstellungen der Arbeiter.
- Es zeigt sich, dass Marx und Engels einen großen Weitblick besaßen.
Bemerkung: Nicht alle Schüler der Klasse konnten die geforderte Beziehung in der letzten Aufgabe nachweisen. In einer etwas leistungsschwächeren Parallelklasse waren zusätzliche Hilfsfragen erforderlich.
Zurückkehrend zur zentralen Fragestellung, wurde noch einmal der Lösungsweg nachgezeichnet. Dann wurde im Ergebnis einer abschließenden Wertung das Tafelbild ergänzt (vgl. S. 44). Die Schüler übernahmen es in dieser Form in ihre Hefter. „1875 – Vereinigungskongress in Gotha“ wurde als Merkzahl eingetragen.
Zur Stunde 6.3.2.: Der heldenhafte Kampf der Arbeiter gegen das Sozialistengesetz
Entsprechend der Erkenntniszielsetzung des Lehrplans sind zwei Schwerpunkte für diese und die folgende Stunde gesetzt.
Einerseits ist den Schülern die Offensive der herrschenden reaktionären Kräfte zu erklären, die in ihrem Hauptstoß auf die Zerschlagung der revolutionären Arbeiterbewegung gerichtet ist. Andererseits soll ein lebendiges, mitreißendes Bild von dem heldenhaften Kampf gegeben werden, der die Partei stärkte, immer größere Teile der Arbeiterklasse für diesen Kampf aktivierte und schließlich zum Sturz Bismarcks führte./17/
Zur Arbeit an diesen beiden Schwerpunkten leistet diese Stunde den Beitrag, die Schüler mit dem Sozialistengesetz bekanntzumachen und ihnen in eindringlicher Weise Grundfragen einer konsequent klassenbewussten Haltung in der Auseinandersetzung mit der heimtückischen, brutalen Offensive der reaktionären Kräfte nahe zu bringen. Für die Arbeit an beiden Schwerpunkten wählte ich ein erziehungsbetont problemhaftes Herangehen, das ich im Folgenden vorstellen möchte.
1. Schritt:
Zwei Fragen standen im Mittelpunkt der einführenden Wiederholung:
- Warum musste die Arbeiterklasse einen konsequenten Kampf gegen das reaktionäre Herrschaftssystem in Deutschland führen?
Wieder wurden die Fakten zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nach 1871 reaktiviert. Ausgehend von den sich vertiefenden Klassengegensätzen, wurde von den Schülern hervorgehoben, dass die Arbeiterklasse ein immer dringenderes Interesse an demokratischen Veränderungen haben musste, die ihre Lage erleichterten und günstigere Kampfbedingungen zur Errichtung einer gerechten sozialistischen Ordnung brachten.
- Welchen bedeutsamen Schritt tat die Arbeiterklasse zur Sammlung und Stärkung ihrer Kräfte?
Die Schüler berichteten über den. Vereinigungsparteitag von Gotha. Sie charakterisierten die Bedeutung dieses Schrittes. Sie hoben aber auch hervor, wie gefährlich die ins Programm aufgenommenen lassalleanischen Auffassungen waren.
Die Wiederholung, die in Form mündlicher Leistungskontrollen erfolgte, griff abschließend die Ausgangsproblemstellung auf:
- Welche Aufgabe stand nunmehr vor der Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen die reaktionäre junkerlich-bourgeoise Herrschaft?
2. Schritt:
Ich leitete die Arbeit an dieser Problemstellung mit der Information ein:
Der 21. Oktober 1878 bleibt in der deutschen Arbeiterbewegung ein unvergessener Tag. Viele Arbeiter wurden verhaftet. Allein aus Berlin wurden 63 führende Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei ausgewiesen. Fast die gesamte Arbeiter- presse wurde verboten. Jegliche Tätigkeit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands wurde unter schwerste Strafe gestellt. Auch die meisten Gewerkschaftsorganisationen waren verboten.
Was war geschehen?
Die Schüler vervollständigten zunächst ihre Kenntnis der Ereignisse vom 21. Oktober 1878 anhand des Lehrbuches, S. 110, Abschnitt 6.5.1. Der Inhalt des Sozialistengesetzes wurde in Stillarbeit durchgearbeitet.
Nach einer kurzen Pause wurden die Schüler zur Wertung aufgefordert. Die behandelten Fakten ermöglichten diese Wertung allen Schülern der Klasse. Die meisten äußerten sich so:
- Die Bourgeoisie und die Junker fürchteten die stärker gewordene Arbeiterklasse und holten zu einem Schlag gegen sie aus.
- Mit Verleumdungen wurde das Verbot der Arbeiterorganisation begründet.
- Die Herrschenden wollten die Organisation der Arbeiterklasse zerschmettern.
- Die Arbeiter waren jetzt entscheidender Mittel, die ihre Stärke ausmachten, beraubt.
- Es zeigte ich, dass der preußisch-deutsche Militärstaat vor immer brutaleren Unterdrückungsmaßnahmen nicht zurückscheute.
- Die Arbeiterklasse sollte an der Erfüllung ihrer historischen Mission gehindert werden.
- Die Arbeiter benötigten unbedingt Zeitungen u. a., waren diese doch ein entscheidendes Mittel zur Stärkung der Arbeiterklasse und ihrer Positionen. Es ging der Partei doch besonders darum, das marxistische Gedankengut an die Arbeiter heranzutragen. Durch die Verbote wurde das enorm erschwert.
Alle weiteren Aussagen entsprachen sinngemäß den genannten. Der Tatbestand wurde ins Tafelbild aufgenommen (vgl. S. 46).
3. Schritt:
- Wie setzte sich die Partei der Arbeiterklasse, gegen die der Hauptstoß der reaktionären Kräfte gerichtet war, gegen das Sozialistengesetz zur Wehr?
Im vorbereiteten Tafelbild waren dazu bestimmte Vorgaben enthalten, die nunmehr
Gegenstand der frontalen Erarbeitung waren. Es fehlten noch die Eintragungen „Das sagten die Opportunisten“ und „Das sagten die Anarchisten“.
Zunächst war es notwendig, dafür zu sorgen, dass die Schüler die im Tafelbild enthaltenen Auffassungen verstanden. Es galt zunächst, im Unterrichtsgespräch zu klären, welche Vorstellungen die Schüler mit den dargestellten Positionen verbanden. Was heißt, auf den Kampf um die revolutionäre Veränderung des Bestehenden zu verzichten und sich statt dessen auf Veränderungen innerhalb der gegebenen Ordnung zu beschränken? Was heißt, sofort eine Revolution auszurufen und zu putschen?
Nach einer solchen konkretisierenden Zwischenverständigung konnte die eigentliche Hauptfrage in den Mittelpunkt der Erarbeitung gestellt werden:
- Welche entscheidende Grundfrage musste in der Partei geklärt werden, um die richtigen Kampfformen gegen das Sozialistengesetz festzulegen?
Bei der Klärung dieser Frage legte ich auf das Verständnis für den Zusammenhang zwischen der eigentlichen Aufgabenstellung einer Arbeiterpartei und ihren Kampfmethoden besonderen Wert. Es wurde deutlich, dass einzig die Marxisten eine richtige Auffassung vom Kampf gegen das Sozialistengesetz hatten. Sie gaben die umfassende Zielsetzung des Kampfes der Arbeiterklasse nicht auf und ordneten den gegebenen Kampfbedingungen die erforderlichen Kampfmethoden zu. Dass unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes den illegalen Kampfformen eine besondere Bedeutung zukam, war für die Marxisten eine feste Position. Opportunisten und Anarchisten betrieben eine Politik des Klassenverrats oder des Abenteurertums. Beides war gleichermaßen gefährlich.
4. Schritt:
Diesem Schritt waren anschauliche Darlegungen des Lehrers vorbehalten. Sie waren nach folgender inhaltlicher Logik zusammengestellt:
- Überblick über den Aufbau illegaler Parteiorganisationen (Karte) und Berichte von den schweren Belastungen des illegalen Kampfes;
- die richtige Verbindung von illegalen und legalen Kampfmethoden (vor allem am Beispiel des Vertriebs der sozialistischen Presse);
- der Kampf gegen das Sozialistengesetz als ein Höhepunkt der Verbreitung des Marxismus in der deutschen Arbeiterbewegung./18/
Mit dieser inhaltlichen Anordnung der Darstellungen im Lehrervortrag folgte ich den Schwerpunktsetzungen im Tafelbild der Stunde. Ich rückte die illegale Tätigkeit die Spitze, da sie die Grundlage aller anderen Kampfformen war. Bei der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials kann gerade diese Phase der Unterrichtsarbeit in eine aufzählende Episodendarstellung verflachen. einzelne Konkrete muß und kann seine Funktion nur in einer richtigen politisch-inhaltlichen Zuordnung erfüllen. Der Beitrag von U. Herrmann im Heft 11/1978 war mir hierbei eine große Hilfe.
Tafelbild
Die Herstellung der Einheit der deutschen Arbeiterklasse war ein notwendiges Erfordernis ihres weiteren Kampfes. (1) | ||
1875 erfolgte in Gotha die Vereinigung der Eisenacher und Lassalleaner zu einer einheitlichen Partei. | Marx und Engels übten an den angenommenen Gothaer Programm scharfe Kritik. (2) | |
Die Herstellung der Einheit stärkte die deutsche Arbeiterklasse. Die falschen Auffassungen im Gothaer Programm minderten diesen Erfolg. |
21. Oktober 1878 Erlass des SozialistengesetzesDer Kampf ein die Beseitigung des Sozialistengesetzes wurde zur Hauptaufgabe der Arbeiterklasse |
Einige meinten: | Die Mehrzahl meinte: | Einige sagten: |
Man sollte auf den Kampf um die revolutionäre Veränderung verzichten und sich auf die Verbesserung innerhalb des Bestehenden beschränken. | Das Hauptziel der Partie bleibe die Errichtung des Sozialismus.Der Kampf um demokratische Rechte und soziale Verbesserung sei die notwendige Voraussetzung dafür.Der Kampf gegen das Sozialistengesetz erfordere: überall illegale Parteiorganisationen aufzubauen, alle illegalen Kampfmöglichkeiten zu nutzen, die Arbeiter noch besser mit dem Marxismus vertraut zu machen. | Man solle sofort eine Revolution ausrufen.Der Putsch sei die wichtigste Kampfform.Alle anderen Kampfformen seien wirkungslos. |
Das sagten die Opportunisten. | Das sagten die Marxisten. | Das sagten die Anarchisten. |
Zur Stunde 6.3.3.: Die wichtigsten Ergebnisse des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz
Wie bereits in den einführenden Bemerkungen zur Stunde 6.3.3 hervorgehoben, setzt diese Stunde die Arbeit an den beiden oben genannten Schwerpunkten des Lehrplans fort.
Einerseits ist die Politik Bismarcks Gegenstand der Unterrichtsarbeit, die Arbeiter durch soziale Zugeständnisse von ihrem zunehmend erfolgreicheren Kampf gegen das Sozialistengesetz abzuhalten. Andererseits werden die eindeutigen Ergebnisse der Kampfaktionen der Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz in den Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit gerückt./19/
Schließlich ist die Krönung dieser Auseinandersetzung, der Fall des Sozialistengesetzes und der Sturz Bismarcks, Höhepunkt der Unterrichtsarbeit. Die Arbeiterklasse gibt sich auf ihrem Erfurter Parteitag im Jahre 1891 ein Parteiprogramm, das die Fehler von Gotha ausmerzt und dem Kampf der Arbeiterklasse klare marxistische Orientierungen gibt.
1. Schritt:
Ich knüpfte an den bekannten Ausspruch Bebels zur Gründung des preußisch-deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 an:
„… das durch ‚Blut und Eisen‘ mühsam zusammengeschweißte ‚Reich‘ ist kein Boden für die bürgerliche Freiheit, geschweige für soziale Gleichheit. Staaten werden mit den Mitteln erhalten, durch die sie gegründet wurden. De‘ Säbel stand als Geburtshelfer dem ‚Reich‘ zur Seite, der Säbel Wird es ins Grab begleiten.“
Diesem Ausspruch stellten wir nunmehr die folgende Tatsache gegenüber:
In den Jahren 1883, 1884 und 1889 erließ die Regierung des preußisch-deutschen Kaiserreichs die Gesetze zur Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung. Das war eine nicht unbeträchtliche Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen.
In dieser Kurzform wurden sowohl das Bebel-Zitat als auch die Information über die Einführung der Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung an die Wand projiziert.
- Ist die Charakterisierung des preußischdeutschen Kaiserreiches durch Bebel überholt?
- Hatte sich der Charakter des preußischdeutschen Staates verändert?
Die Schüler wurden aufgefordert, das Bebel-Zitat zu analysieren und mit ihren Kenntnissen über das Sozialistengesetz zu vergleichen. Analyse und Vergleich ergaben folgende Grundpositionen:
- Die Aussage August Bebels stimmt mit unseren bisherigen Erkenntnissen überein.
- Der preußisch-deutsche Staat war – das beweist das Sozialistengesetz – arbeiterfeindlich und antidemokratisch.
- Der preußisch-deutsche Staat war ein Militärstaat und damit gegen die Interessen der Arbeiter gerichtet.
- Das Sozialistengesetz sollte die revolutionäre Arbeiterklasse unterdrücken und ihre politische Führung beseitigen.
Die Einordnung der neuen Fakten bereitete einigen Schülern Schwierigkeiten. Zunächst erfolgte in einem Schülervortrag eine genauere Information über die erlassenen Gesetze. Daran schloss sich die parteiliche Einschätzung dieser Art von Politik der herrschenden Klasse an, die sich auf folgende Ausgangspositionen und Fragen stützte:
Die Partei der Arbeiterklasse hatte mit ihrem Kampf gegen das Sozialistengesetz immer größeren Einfluss bei den Arbeitern gewonnen. Sie hatte sich zur stärksten Arbeiterpartei in Europa entwickelt.
- Warum wurde die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung während des Sozialistengesetzes eingeführt?
- Warum war Deutschland das erste Land, in dem die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung eingeführt wurde?
- Gaben die Herrschenden in Deutschland ein freiwilliges Geschenk?
- Welche politische Absicht hatten sie mit der Einführung der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung?
Diese Fragen halfen, zu einer klaren Einschätzung zu gelangen und die Politik der Peitsche und des Zuckerbrotes als zwei Seiten ein und derselben Politik zu erfassen.
2. Schritt:
Dieser Schritt galt der zunehmenden Streiktätigkeit der deutschen Arbeiter in den letzten Jahren des Kampfes gegen das Sozialistengesetz. Ich hob die Bedeutung des großen Streiks der Bergarbeiter im Ruhrgebiet hervor. In diesem Zusammenhang ging ich auch auf den Erlebnisbericht von Otto Buchwitz ein, der im Lehrbuch auf S. 135 enthalten ist. Das hier wiedergegebene Engagement von Kindern im Wahlkampf, der Stolz, mit geholfen zu haben und das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt zu haben, findet, wie ich immer wieder feststellen konnte, das Interesse der Schüler. Sie fühlen sich selbst angesprochen und verstehen, dass der Kampf gegen das Sozialistengesetz ein Kampf des ganzen Volkes war.
3. Schritt:
Zunächst blendete ich die in der ersten Hälfte des Tafelbildes (vgl. S. 48) enthaltenen Fakten ein. Bei jeder Angabe wurde die Größe des Erreichten hervorgehoben. Der heroische Kampf gegen das Sozialistengesetz hatte reiche Früchte gebracht. Die Partei hatte sich nicht nur erfolgreich verteidigt, sie hatte immer mehr kampfbereite Genossen gewonnen und war zahlenmäßig zur stärksten Partei in Deutschland geworden. Die Absicht der reaktionären Kräfte, mit dem Sozialistengesetz und anderen Maßnahmen die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, war vollständig gescheitert.
Ausgehend von den Ergebnissen dieses lebendigen Unterrichtsgesprächs, erwähnte ich kurz die Fakten vom Fall des Sozialistengesetzes und vom Sturz Bismarcks. Sie wurden ins Tafelbild aufgenommen. Und ich fügte die beeindruckende Darstellung von Wilhelm Liebknecht auf einer der zahlreichen Versammlungen anlässlich des Sieges über das Sozialistengesetz ein:
„Genossinnen und Genossen! Es ist ein weitgeschichtlicher Moment, den wir feiern. Das Sozialistengesetz ist gefallen, die rote Fahne steigt empor!.. Der Staat und die anderen Parteien vereinigten sich, unsere Partei, die Partei der neuen Welt zu zerstören .. . Wir wurden auf jede Weise verfolgt, geächtet, außer Recht gesetzt. Und wir haben, gestützt auf das Recht und die Wissenschaft, den Kampf aufgenommen.. Das Gesetz liegt am Boden — die Sozialdemokratie steht siegreich! … Auf zu neuem Kampf, zu neuen Siegen! Hoch die internationale Sozialdemokratie!“/20/
Abschließend wies ich daraufhin, dass sich die Partei auf ihrem Parteitag in Erfurt im Jahr 1891 ein neues Programm gab. Ich betonte, dass es ein vollständig marxistisches Programm war. Ich fragte die Schüler, was wohl in einem solchen Programm enthalten sein müsse, wenn es ein vollständiges Programm sei.
Die meisten Schüler wiesen darauf hin, dass in diesem Programm die Fehler von Gotha nicht mehr enthalten sein dürfen. Leistungsstärkere Schüler knüpften an die Gespräche in der zurückliegenden Stunde über die Haltung der marxistischen Kräfte gegenüber dem Sozialistengesetz an. Sie leiteten ab, dass das, neue Programm sicher auf das revolutionäre Ziel der Arbeiterklasse, auf den Kampf um eine gerechte sozialistische Ordnung orientiere.
Ich lobte die Schüler für ihre Ableitung und Stellungnahme. Wir vervollständigten das Tafelbild. Mit der Aufgabenstellung des Erfurter Programms haben wir eine ganz klare Grundlage für die Beurteilung der weiteren Entwicklung der Arbeiterbewegung gewonnen, so hob ich hervor. Wir werden daher noch sehr oft auf die Festlegungen des Erfurter Programms zurückkommen.
Tafelbild
Die Ergebnisse des Kampfes gegen das Sozialistengesetz Die Partei erhielt bei den Reichstagswahlen im Jahre 1890 1.427.298 Stimmen (gegenüber 437.158 im Jahre 1878). In den Gewerkschaften waren 250.000 Gewerkschafter organisiert (gegenüber 50.000 im Jahre 1878). Partei und Gewerkschaften verfügten 1890 über 100 Zeitungen mit 600.000 Lesern (gegenüber 56 Zeitungen mit 160.000 Lesern im Jahre 1878) | |
Am 25. Januar 1890 wurde das Sozialistengesetz aufgehoben.Bismarck wurde entlassen. | Die Partei gab sich 1891 in Erfurt ein neues Programm.Es forderte den Kampf um die Errichtung des Sozialismus als revolutionäres Hauptziel. Der Kampf um weitere demokratische Rechte und soziale Verbesserungen war dafür Voraussetzung. |
Einige Nachbemerkungen
Ein Maßstab für die Beurteilung des Ergebnisses der Unterrichtsstunden wird durch die von Diere/Heidler im Heft 6 unserer Fachzeitschrift (S. 528) formulierte Frage gegeben:
„Wie erlangen die Schüler ein konkretes, wissenschaftlich fundiertes und parteiliches Bild von der historisch neuen Qualität des Kampfes der Volksmassen, der im Ringen um die Verwirklichung der weitgeschichtlichen Mission der Arbeiterklasse eine neue Ära der menschlichen Geschichte eröffnet?“
Um den Schülern den Kampf der Arbeiter als einen umfassenden, zusammenhängenden Prozess mit ganz bestimmten, sich verändernden Qualitätsmerkmalen nahe zu bringen, formulierte ich in der ersten Stunde die übergreifende Fragestellung, die die Möglichkeit zur Ableitung von Problemstellungen für die einzelnen Stunden bot. Hierbei musste beachtet werden, dass das inhaltliche Anliegen des Unterrichts im Vordergrund blieb und keine Verselbständigung des problemhaften Unterrichts zugelassen wurde. Die Schüler müssen sich am Ende der Stunde 6.3.3. des qualitativen Wachstumsprozesses der Arbeiterklasse bewusst sein.
So ist es in der Stunde 6.3.1. wichtig, dass die Schüler erkennen, dass Marx nicht die Einheit der Arbeiter um jeden Preis wollte. Es hat sich bewährt, die Schüler darüber zu informieren, welche lassalleanischen Auffassungen im Gothaer Programm enthalten waren. Das erleichtert das Verständnis des Erfurter Programms.
Bestimmte Schwierigkeiten ergeben sich bei der Planung und Durchführung der Stunde 6.3.2. Hier muss der heroische Kampf der Sozialdemokratie im Mittelpunkt stehen. Ich identifiziere mich voll mit dem Hinweis des Kollegen Karl-Heinz Hempel zur Leserkonferenz (Heft 7/1979 unserer Fachzeitschrift, S. 638), der erklärte, „dass man sich vor einer Bagatellisierung der Klassenkämpfe hüten müsse, als habe es genügt, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Vielmehr müsse die Kernfrage im Vordergrund stehen, dass es um die in einem kapitalistischen Staat mögliche Wirksamkeit einer revolutionären marxistischen Arbeiterpartei im Interesse aller Werktätigen ging.“
Für die Stunde 6.3.3. war das angegebene Maß an historischer Konkretheit angebracht. Den Schülern muss bewusst werden, dass solche Leistungen wie Versicherung und Rente durchaus nicht immer so selbstverständlich waren, wie ihnen das heute erscheint. Sie erkennen, dass sie Ergebnis harten Klassenkampfes waren und gewinnen Einblick in die Reaktionen des kapitalistischen Staates auf die berechtigten Forderungen der Arbeiter.
Insgesamt hat sich meines Erachtens die problemhafte Gestaltung dieser Stunden bewährt. Es zeigte sich, dass eine Problemstellung in Form einer einzelnen Frage die meisten Schüler nicht aktiviert. Es bewährte sich die Form der Darbietung von Problemsachverhalten, die bereits Fakten vermittelten und eine Widerspruchssituation entstehen ließen.
Dabei genügte es nicht, die zentrale Fragestellung einfach zu formulieren, sie musste vielmehr den Schülern bewusst werden. Zu einer solchen Art der Gestaltung des problemhaften Unterrichts sollte den Lehrern verstärkt Hilfe gegeben werden.
Anmerkungen:
/1/ Diere, H.; Heidler, W.: Zu einigen Schwerpunkten der Behandlung des Kampfes der Volksmassen für den gesellschaftlichen Fortschritt in den Klassen 7 und 8. Gesch.-Unterr. u. Staatsbürgerkd., Berlin 21 (1979) 6, S. 534
/2/ Ebenda, S.535
/3/ Lehrplan Geschichte Klasse 8. S. 10
/4/ Heidler, W.: Aus der Diskussion im Arbeitskreis zur Klassenstufe 7/8. Gesch.-Ijnterr. u. Staatsbürgerkd., Berlin 21(1979) 7, S. 637
/5/ Neuner, G.: Über einen effektiven, erziehungswirksamen Unterricht. Dtsch. Lehrerztg., Berlin 24 (1977) 46, S.3
/6/ Ebenda, S.4
/7/ Ebenda
/8/ Vgl. Weck, H.; Fuhrmann, E.: Problemstellen Und Aktivität. Dtsch. Lehrerztg., Berlin 22(1975) 40. DLZ-Konsultation, 5. 2
/9/ Vgl. ebenda, S.3
/10/ Vgl. Lehrplan Geschichte Klasse 8. S.31
/11/ Vgl. ebenda
/12/ Vgl. ebenda, S.32f.
/13/ Vgl. ebenda, S.34
/14/ Vgl. ebenda, S.36
/15/ Unterrichtshilfen Geschichte 8. Klasse. Berlin: Volk und Wissen 1969. S. 164f.
/16/ Bericht des ZK der SED an den VIII. Parteitag. Berichterstatter: Genosse Erich Honecker. Berlin: Dietz Verlag 1971. S. 58
/17/ Vgl. Lehrplan Geschichte Klasse 8. S.32
/18/ Vgl. Herrmann, U.: Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands – Führerin der Arbeiterklasse im Kampf gegen das Sozialistengesetz. Gesch.-Unterr. u. Staatsbürgerkd., Berlin 20(1978)11, S.964ff.
/19/ Vgl. Lehrplan Geschichte Klasse 8. S.35
/20/ „… und ausgelacht obendrein!“ Heiteres und Ernstes aus dem Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz 1878 bis 1890. Berlin: Dietz Verlag 1978. S. 184, 185, 186
Letzte Aktualisierung: 6. Februar 2022